Die bittere Wahrheit hinter der Schokolade
- Mark Schönholzer
- 11. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Andrea Hüsser ist Geschäftsleiterin und Vorstand von Good Chocolate Hub

Andrea Hüsser ist Geschäftsleiterin und Vorstand von Good Chocolate Hub - eine als Verein konstituierte parteipolitisch unabhängige Organisation, welche die Nachhaltigkeit in Kakaoproduktionsketten fördern und verbessern will. Seit Jahren beschäftigt man sich mit den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und Umweltproblemen in der Produktionskette von Schweizer Schokolade.
Das Gleis 70. Wir befinden uns in einem sehr urbanen Raum in Zürich-Altstetten. Der Blick von der Dachterrasse schweift direkt auf die Gleise hinab. Gleis 70 ist ein genossenschaftlich geführtes Gewerbe- und Atelierhaus in Zürich-Altstetten. Das ehemalige Spielwarenlager von Franz Carl Weber beherbergt über hundert Werkstätten, Dienstleistungsbetriebe und Kunstateliers. Und sogar einen Kakao-Händler.
Hüsser hat in Fribourg studiert, Hauptfach Sozialanthropologie, nebenbei noch Journalistik und Umweltwissenschaften. Während des Studiums arbeitete sie als Journalistin bei der Berner Zeitung. Danach verschlug es sie nach Mexiko, wo sie einen Master zum Thema Gender und Recht machte. Gleichzeitig arbeitete sie in einer kleinen NGO im Bereich rurale Entwicklung und war zuständig für die ganzen Fair Handels Standards und für den lokalen und internationalen Markt.
Andrea Hüsser lebte und arbeitete jahrelang in Mexiko-City. Einer crazy Stadt, die, wie sie selbst sagt, «einen tagsüber völlig aufisst, aber auch viel gibt». «Ich habe dort meine Lic.–Arbeit zum Thema Strassenkinder gemacht - also eigentlich mehr Verstrickungen zum Thema lokale Politik, NGOs und Wirtschaft. In dieser Zeit traf ich viele Menschen und konnte mir dann auch gut vorstellen, in dieser Umgebung, in dieser Stadt mit diesen Menschen länger zu leben.
Konntest du in deiner Zeit in Mexiko etwas bewirken?
«Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Ich glaube, ich habe durchaus etwas bewirkt, aber sicher nicht mehr, als auch ein anderer hätte können. Aber ich habe meinen Job gerne gemacht».
Fotos: Andrea Hüsser
Gutes tun und gratis arbeiten?
NGO setzt voraus, dass man ein guter Mensch ist, viel für wenig Geld macht, gewisse Dinge ins Rollen bringen kann. War das ein Grund für dein Engagement bei einer NGO?
«Natürlich will man etwas Positives bewirken, das möchten die meisten Menschen. Zum monetären Thema: Ein sehr wichtiger Punkt in der NGO- und Vereinswelt. Ich finde es ziemlich stossend, dass wenn man einen guten Zweck erfüllt, müsse dies ehrenamtlich sein, also gratis oder fast gratis. Warum? Es gibt keinen einzigen Grund dafür, warum das nicht gleich entlöhnt werden soll wie jeder andere Job auch. Im Gegenteil, es müsste eigentlich höher entlöhnt werden, da man ja etwas Positives bewirkt. Ich habe in Mexiko in einer lokalen NGO für sehr wenig Geld gearbeitet. Wenn ich nicht von zu Hause aus Unterstützung gehabt hätte, die mir die Krankenkasse bezahlt hätte, dann wäre es eng geworden».
Wie bist du mit Kakao in Berührung gekommen?
«Es war etwas ein Zufall, hing aber sicher auch mit meinen Erfahrungen in Mexiko zusammen. Ich begann 2008 bei Public Eye zu arbeiten und war zuständig für den Fachbereich Konsum. Ich überlegte mir, zu welchem Thema ich arbeiten möchte. Ich habe dann eine Auslegeordnung gemacht, was für die Schweiz relevant ist, da es bei Public Eye immer einen Bezug zu den Ländern aus dem Süden und der Schweiz geben muss. Im Austausch mit meinen Arbeitskollegen kamen wir dann auf das Thema Schokolade. Ich begann mich einzuarbeiten - wo steht die Schweiz, was gibt es für eine Nachhaltigkeitsinitiative und bemerkte, es gibt gar nicht so viel und die Missstände sind gross wie zum Beispiel missbräuchliche Kinderarbeit. Vor allem die Zustände auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste, dem wichtigsten Kakaoproduzenten der Welt und Ghana. Ich machte dann ein Kampagnenkonzept und zwar ein Rating von Schweizer Schokoladenfirmen bezüglich ihres Standings im Bereich Respekt von den Menschenrechten.
Ich stach bei meinen Recherchen in ein Wespennest. Der Verband verbot seinen Mitgliedern, mit mir zu sprechen. Das Thema war offenbar eine heilige Kuh. Es gab nur eine Firma, welche mir immer wieder Informationen lieferte. Wir machten dann diese Kampagne bei Public Eye und sie generierte sehr viel Response bei den Konsumenten, Firmen und Medien. Dann wäre mein Job eigentlich erledigt gewesen. Aber es liess mich irgendwie nicht mehr los. Ich hatte ja schon reingestochen, man hat etwas aufgewirbelt und viele wurden auf das Thema aufmerksam. Ich habe mich dann europaweit mit anderen Organisationen vernetzt. Wir haben eine Dachorganisation gegründet und beschlossen, dass wir am Thema dranbleiben. So konnte ich mich bei Public Eye trotz anderen Aufträgen weiterhin diesem Thema widmen».
2012 fand die erste Weltkakao-Konferenz in der Elfenbeinküste statt, organisiert von der Internationalen Kakao Organisation (ICCO), einer Unterorganisation der UNO. Dort waren auch die Kakaobauern eingeladen. Das war sicher der Start einer grösseren Nachhaltigkeitsbewegung im Schokoladenbereich. Ab diesem Moment erkannten auch Firmen, dass sie eine Mitverantwortung tragen. Heute sind Unternehmen sicherlich einen Schritt weitergekommen, aber auf dem Feld sieht es leider immer noch genau gleich aus.
Andrea Hüsser redet heute noch ab und zu mit den Bauern vor Ort, ist auf den Plantagen und hat viel mit lokalen NGOs zu tun. Fakt ist: Es will niemand mehr Kakaobauer oder Kakaobäuerin werden, da das ein Synonym für Armut ist und deshalb muss man einen anderen Job wählen. Das grosse Problem: Die jetzigen Bauern haben gar keine anderen Alternativen. Die grösste Chance ist, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken können, damit diese eine andere Ausbildung machen. Und sonst beginnt die Spirale wieder. Kinderarbeit wurzelt darin, dass Kinder nicht in die Schule können, dass es zu wenig Schulen gibt und die Eltern kein Geld haben. Das heisst, Kinder müssen dann als gratis Erntehelfer fungieren. Wenn man von missbräuchlicher Kinderarbeit spricht, ist es in den wenigsten Fällen Sklaverei, aber auch die gibt es. Meistens sind es Kinder aus dem engeren oder weiteren Familienkreis.
Das System der Ungerechtigkeit
Ist es nicht schwierig, obwohl man versucht zu helfen, dass trotzdem nichts passiert?
«Es ist immer wieder frustrierend, diese Ungerechtigkeit zu sehen. Man muss sich das einmal bildlich anhand einer Tafel Schokolade vorstellen: 45% geht an den Detailhandel, 35% an die Schokoladenfabrikanten, ein Teil geht an Händler, Exporteure und Regierungen und dann bleiben noch 6 bis 7%, die an die Bauern gehen. An dem System etwas zu ändern ist offensichtlich sehr schwierig, obwohl diese Industrie eigentlich einfach aufgebaut ist. Wir haben zwei Länder, die den Hauptanteil Kakao produzieren, sechs riesige Schokoladenproduzenten und sechs grosse Händler. Also nicht so viele Akteure. Das Ganze ist leider hochpolitisch, unterschiedliche Interessen herrschen vor und die einen Akteure haben die bessere Lobby als die andere. Das ist für mich Motivation, immer wieder am Thema dranzubleiben und unter anderem unser Schoggifestival zu organisieren, wo wir den Menschen zeigen, was hinter Schokolade steckt. Die Geschichten dahinter, die Aromenvielfalt, die neue Schoggi-Generation, welche lustvoll eine nachhaltigere Wertschöpfungskette generiert. Es muss klar werden, dass wenn man eine hochqualitative Schokolade möchte, dies auch teurer wird. Es steckt ganz viel Arbeit dahinter, es ist kein industrielles Produkt, wenn man von der Bean-to-Bar-Herstellung spricht. Das entsteht alles in kleinen Manufakturen von zwei, drei Leuten. Deswegen ist das natürlich auch teurer. Mit 7 bis 15 Franken für eine Tafel muss man rechnen. Dann gibt es die Industrie-Schokolade, und dort muss es einfach möglich sein, eine Umverteilung der Wertschöpfung hinzukriegen. Dass also von den erwähnten 45% des Detailhandels ein Teil an die Bauern geht.
Man muss sich auch nicht täglich den Bauch mit Schoggi vollschlagen. Man sollte Schokolade mehr wertschätzen. Zum Beispiel darauf achten, woher die Schoggi kommt. Eine andere Option ist aber auch, dass die Industrie neue Ansätze sucht, um zu verhindern, dass immer mehr Wald abgeholzt wird und Bauernfamilien weiterhin in dieser extrem Armut leben müssen».
Das Schoggifestival sei deshalb jedem empfohlen, der wissen möchte, was hinter der Schoggi steckt und Alternativen zur Industrieschokolade probieren will.
Die nächste Gelegenheit bietet sich am 13.4.25 in Zürich.

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